Wie bewertet man einen Radweg?
Lassen sich Radwege objektiv in „gut“ und „schlecht“ einteilen? Und wenn ja, wie? Dies ist der Versuch eines Bewertungsschemas, dass für die Bewertung auf dieser Webseite verwendet wird.
Wie lassen sich Radwege bewerten?
Wann ist ein Radweg gut und wann ist er schlecht? Beim Befahren des Weges fallen einem schon die wichtigsten Punkte ins Auge: Ist der Weg breit genug, ist die Oberfläche eben und gibt es Konfliktpotential mit anderen Verkehrsarten wie FußgängerInnen oder AutofahrerInnen.
Eine Bewertung kann niemals zu 100% objektiv sein. Vieles ist ein Grenzfall und einige Kriterien treffen gar nicht auf alle Wege zu oder sind schlicht wegen zu wenig Radverkehr unsinnig. Generell gilt: Je mehr Verkehr auf dem Radweg ist, desto besser muss er auch neben den Grundkriterien, die für alle Wege gelten, ausgestattet sein. Dabei kommt es nicht auf den aktuellen, sondern auf den zukünftig geplanten Radverkehr an. Für Hauptrouten gelten zudem andere Anforderungen als für Nebenstrecken.
Die folgenden Kriterien sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern orientieren sich an den Mindeststandards in aktuellen Regelwerken und Planungsgrundlagen (StVO, VwV-StVO, ERA Ausgabe 2010). Die Bewertung erfolgt grundsätzlich immer aus Sicht aller Nutzergruppen. Nur wenn ein Weg für alle gut nutzbar ist, ist es ein guter Radweg. Eine gute Grundlage für eine grobe Bewertung liefern die goldenen Regeln. Ein 3-Sterne-Radweg ist dabei nicht einmal ein Luxus-Weg. Grob gesagt: Ein Radweg, der streng nach ERA 2010 gebaut ist, bekommt 3 Sterne (wenn alles passt). Ein Radweg, der sich etwa an den Mindestmaßen der VwV-StVO orientiert, bekommt mindestens 2 Sterne.
Wie und was wird bewertet?
Dieses Bewertungssystem vergibt insgesamt 3 Sterne. Es gibt jeweils einen Stern für die Kategorien Breite, Oberfläche und Gestaltung/Konfliktfreiheit. Außerdem sind bei bestimmten Führungsformen und Kardinalfehlern Abzüge vorgesehen. Es gibt auch halbe Sterne. Das Bewertungssystem kann auch auf Straßen angewendet werden, auf dem es keinen gesonderten Radweg gibt sondern der Radverkehr auf der Fahrbahn geführt wird.
1 Stern für Breite
Breite ist objektiv messbar. Es werden die Kriterien der ERA und der VwV-StVO zugrunde gelegt. Der Weg sollte grundsätzlich so breit sein, dass zwei Radfahrer nebeneinander fahren können bzw. sich überholen können.
Einen Stern gibt es für vom Fußverkehr getrennte Radwege für die Mindestbreite von 2 m, einen halben Stern gibt es für eine Mindestbreite von 1,60 m.
Gemeinsam mit dem Fußverkehr genutzte Flächen brauchen innerorts mindestens 2,50 m Breite, je nach Fuß-/Radverkehrsstärke auch mehr (Details siehe ERA 3.6). Für das Mindestmaß gibt es einen halben Stern, für zusätzliche 50 cm gibt es einen ganzen Stern.
Außerorts brauchen gemeinsame Flächen für einen ganzen Stern 2,50 m Breite. Für 2 m Breite gibt es noch einen halben Stern.
1 Stern für Oberfläche
Die Oberfläche sollte glatt und eben sein, auch an Einmündungen ohne spürbare Höhenunterschiede. Es sollte keine Schlaglöcher oder Unebenheiten geben und nach Bauarbeiten sollte die Oberfläche wieder im Ursprungszustand hergestellt werden. Möglich sind entweder Asphalt oder ungefaste Pflastersteine. Sind diese Bedingungen erfüllt, gibt es einen ganzen Stern. Einen halben Stern gibt es noch, wenn z.B. gefaste Betonsteine verwendet wurden, der Weg aber ansonsten erschütterungsfrei ist oder wenn der ansonsten gute Asphalt schon einzelne Unebenheiten aufweist.
1 Stern Gestaltung/Konfliktfreiheit
Hier wird die Gestaltung des Radweges bewertet, indem folgender Fragenkatalog beantwortet wird. Einen ganzen Stern gibt es, wenn nur einzelne Fragen mit „nein“ beantwortet werden. Einen halben Stern gibt es noch, wenn nur wenige Fragen mit „nein“ beantwortet wurden. Einige Fragen sind höher gewichtet als andere.
- Gibt es eine bauliche Trennung zum Fußverkehr?
- Gibt es eine bauliche Trennung zum Autoverkehr?
- Gibt es keine Konflikte mit Fußgängern an Engstellen?
- Gibt es keine Konflikte mit Fußgängern an Bushaltestellen (Bushaltestellen direkt am Radweg)?
- Gibt es keine Konflikte mit Fußgängern vor Hauseingängen oder Geschäften?
- Gibt es keine Konflikte mit parkenden Autos durch öffnende Autotüren?
- Gibt es keine Glascontainer oder Altkleidersammelcontainer direkt am Radweg?
- Gibt es bei Führung auf der Fahrbahn keine Gefährdungen durch überholende Autos (z.B. zu geringer Überholabstand)?
- Ist die Führung des Radwegs an Knotenpunkten sicher?
- Gibt es an Knotenpunkten keine Probleme mit anderen wartenden VerkehrsteilnehmerInnen (z.B. an der Ampel auf dem Radweg wartende FußgängerInnen)?
- Gibt es an Knotenpunkten keine Hindernisse, hinter denen Radfahrer verschwinden können?
- Sind an Knotenpunkten Sichtdreiecke generell freigehalten (parkende Autos, Hecken, Gebäude etc)?
- Sind an Knotenpunkten die Abbiegegeschwindigkeiten niedrig genug (z.B. durch bauliche Maßnahmen)?
- Ist der Radweg an Einmündungen, an denen er Vorfahrt hat, auf einer Aufpflasterung geführt?
- Sind Einmündungen so gestaltet, dass aus Seitenstraßen einfahrende Autos vor dem Radweg halten/warten?
- Gibt es an Einmündungen keine freien Rechtsabbiegestreifen?
- Gibt es an Ampeln für den Radverkehr eher grün?
- Gibt es generell konfliktfreie Ampelschaltungen?
- Sind die Anforderungstaster bei Bedarfsampeln ohne Umwege und Verrenkungen zu erreichen?
- Ist der Radweg beleuchtet (bei beidseitiger Führung auch beidseitig)?
- Gibt es einen durchgängigen Radweg (kein Wechsel des Fahrbahnbelags)?
- Gibt es eine direkte Verkehrsführung (keine unnötigen Umwege)?
- Gibt es eine eindeutige, intuitive Wegführung (kein Suchen des richtigen Wegs)?
- Ist der Weg frei von Hindernissen (Laternen, Schilder, etc.)?
- Ist der Weg frei von Drängelgittern, die nicht von allen Fahrrädern passiert werden können (Lastenräder, Dreiräder, Räder mit Anhängern)?
- Ist der Weg frei von Pfosten, die die Durchfahrt zu sehr verengen?
- Ist der Weg dauerhaft frei von Mülltonnen?
- Sind vorhandene Hindernisse (wie Pfosten, Umlaufsperren) gut sichtbar markiert?
Abzug für Beschilderung Gehweg „Radverkehr frei“
Gehwege, die mit dem Zusatzschild „Radverkehr frei“ beschildert sind, sind keine Radwege und auch kein Ersatz für Radwege, sondern immer nur Übergangslösungen oder Lösungen in speziellen Sonderfällen. Weil der Radverkehr hier nur Schrittgeschwindigkeit fahren darf, sind sie besonders an Hauptrouten keine geeignete Führungsform. Es gibt hier einen Stern Abzug.
Abzug für Führungsart „Schutzstreifen“
Schutzstreifen tragen ihren Namen zu unrecht. Oftmals werden sie zu dicht an parkenden Autos vorbeigeführt, sind deutlich zu schmal. Nachgewiesenermaßen werden Radfahrende auf Schutzstreifen deutlich enger überholt als auf Straßen ohne Schutzstreifen. Schutzstreifen schaden also mehr als dass sie helfen. Es gibt hier einen halben Stern Abzug.
Abzug für gemeinsame Führung mit dem Kfz-Verkehr bei 50 km/h und mehr
Durch die großen Geschwindigkeitsunterschiede fühlen sich Radfahrende auf Fahrbahnen nicht wohl, auf denen mehr als 30 km/h gefahren werden darf. Die Unfallgefahr und die Unfallschwere nehmen deutlich zu, auch durch die deutlich höheren Abbiegegeschwindigkeiten. Bei gemeinsamer Führung mit dem Kfz-Verkehr bei 50 km/h gibt es je nach Verkehrsstärke bis zu einem Stern Abzug, bei 70 km/h oder mehr gibt es je nach Verkehrsstärke bis zu drei Sternen Abzug, wenn in der Straße keine Alternative gibt.
Beispiel-Bewertungskarte
Die Bewertungen lassen sich dann in einer Bewertungskarte mit einer eindeutigen Beschilderung zusammenfassen. Hier zwei Beispiele:
Radweg-Bewertungskarte
Bahnhofstraße
Zwischen Blaue Straße und Bahnübergang
Breite
Oberfläche
Ausstattung
Nur für die Breite gibt es hier einen halben Stern. Es ist zu wenig Platz für die Menge an Fuß- und Radverkehr, besonders im nördlichen Teil. Die Oberfläche ist dringend sanierungsbedürftig. Die Ausstattung ist sehr schlecht: Es gibt keine Trennung zum Fußverkehr, dazu parkende Autos, Bushaltestellen und viele Geschäfte direkt am Weg. Es gibt viele Engstellen und Hindernisse auf dem Weg (Ampeln, Schilder). Die Knotenpunkte sind nicht sicher gestaltet und die Abbiegegeschwindigkeiten sind zu hoch. Die Sichtbeziehungen sind oftmals nicht gegeben. Der Radweg ist nur einseitig beleuchtet.
Stand der Bewertung: 10.01.2021
Radweg-Bewertungskarte
Clevernser Schulweg
Zwischen Ortsschild Rahrdum und Parkplatz Cleverns
Breite
Oberfläche
Ausstattung
Fast echte Fahrradstraße mit Beschränkung "Anlieger frei", Einrichtung im Oktober 2020. Die Breite ist mit 4 m sehr gut. Die Oberfläche ist asphaltiert, hat aber an einigen Stellen zwar schon Wellen durch Wurzeln - ist insgesamt aber trotzdem noch sehr gut. Die Ausstattung ist ebenfalls sehr gut. Der Pkw-Verkehr ist auf Anlieger beschränkt. Dazu gehören auch Elterntaxis auf dem Weg zum Parkplatz. Die Durchfahrt ist aber nicht erlaubt. Ausführlicher Bericht zu dieser Fahrradstraße hier.
Stand der Bewertung: 21.01.2021
Über den Autor
Mein Name ist Oliver de Neidels, ich bin 1979 geboren und wohne seitdem in Jever. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Ich bin selbständig und habe ein kleines Unternehmen, das Webseiten wie diese hier baut.
Seit November 2021 sitze ich im Jeverschen Stadtrat und versuche dort (unter anderem) die Verkehrswende in der Kleinstadt voran zu bringen und den Straßenraum ein wenig gerechter zu verteilen.